Karnevalistische Hochstimmung auch in Argentinien

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Was der Nachbar Brasilien kann, das kann Argentinien schon lange – Karneval und Samba-Rhythmen in Gualeguaychú

Während in den einzelnen Stadtteilen der Metropole die sogenannten Murgas (Karnevalsgruppen) Einzug halten, lädt das Provinzstädtchen Gualeguaychú in Entre Ríos internationale Besucher zu seiner jährlichen Faschingsparade im Corsódromo ein.

Neben Rio und Venedig soll der Karneval in Gualeguaychú einer der berühmtesten weltweit sein. An seinem Bekanntheitsgrad in Argentinien mag nun wirklich keiner zweifeln. Wie es jedoch um ihn außerhalb der südamerikanischen Grenzen bestellt ist, wage ich nicht zu beurteilen. Sicherlich dürfte diese Information für Neueinsteiger auf dem Gebiet der argentinischen Kulturvielfalt und Lebenskünste ein Novum sein.

Böse Stimmen behaupten, dass die Parade im Corsódromo ein Abklatsch des weltberühmten Faschings in Rio de Janeiro sei. Das Wort „billig“, welche die Wortgruppe komplementieren würde, lass ich an dieser Stelle mal weg, da der ganze Spaß mit Sicherheit nicht ganz billig ist. Das gilt sowohl für die einzelnen Karnevalsvereine, die ein Jahr intensive Arbeit und tausende von Pesos in die Vorbereitungen stecken, als auch für die Touristen, die diese Arbeit an einem Wochenende bewundern möchten.

Der Eintrittspreis für dieses Jahr beläuft sich auf 100 Pesos, was umgerechnet ungefähr 18 Euro sind. Diesen Betrag mag man sicher noch verkraften können, da man um den Wert dieser Arbeit Bescheid weiß. Doch die Kosten für Unterkunft und Verpflegung übersteigen so manch einer Vorstellungskraft. Ein kleiner Tipp für alle Faschingsnarren, die sich auf den Weg nach Gualeguaychú machen möchten: plant die Reise mehrere Wochen im Voraus und bucht rechtzeitig ein Hotelzimmer. Am günstigsten kommt ihr weg, wenn ihr in einer kleinen Gruppe, bestehend aus 4 Leuten, anreist und ein kleines gemütliches Häuschen in der Stadt oder am Stadtrand mietet, welches für ein komplettes Wochenende für durchschnittlich 400 Pesos erworben werden kann. Von diesen gibt es in Gualeguaychú genug, denn wahrscheinlich mehr als die Hälfte der Einwohner vermietet ihr Domizil während der Faschingszeit an Touristen. Lange muss man nach dieser Art von Unterkunft auch nicht suchen, da sie sich dem Feriengast direkt 2 Meter nach dem Ortseingangsschild offenbart. Am Straßenrand wird persönlich oder mit handgemalten Schildern geworben. Hier wird alles vermietet, vom einfachen Appartement mit Bett, Kochnische und Dusche bis hin zum Haus mit Swimmingpool und Grillecke. Ein Anruf genügt und schon sind die Nächte für das närrische Treiben gesichert.

Diejenigen, die gerade in Argentinien zu Besuch sind und das Megaspektakel nicht verpassen wollen, sollten sich schnell ein Busticket und eine Unterkunft für das kommende Wochenende besorgen. Denn am 19/2 wird man außer den glitzernden Kostümen und den prächtig dekorierten Wagen, viel nackte Haut sehen. Los geht es mit der Wahl des schönsten „Funkenmariechens“, welches weder zugeknöpft noch in Strumpfhosen und Stiefeln ihr Tanzbein schwingt. Nein, hier wackeln die Mariechen mit knappen pailletten- oder federbesetzten Bikinis über die 500 Meter lange Allee des Stadions, vorbei an knapp 40.000 Zuschauern. Und diejenige, die am geschmeidigsten die Hüften schwingt und die prallsten Bälle hat, die wird auch zur Schönheitskönigin des Karnevals von Gualeguaychú gekürt. Da diese Wahl nun aber jedes Jahr stattfindet und mit der Zeit langweilig wird, haben sich die Veranstalter für dieses Jahr gedacht, noch mehr Würze in die Faschingssuppe zu bringen und drei verschiedene Contests auszurichten. Gewählt wird der schönste Hintern, der schönste männliche Körper und die Frau, an deren Körper sich am reizvollsten ein nassen T-Shirt schmiegt.

Wer auf so viel Sexyness keinen Bock hat, der bleibt eben in Buenos Aires und applaudiert den Murga-Gruppen in Almagro, Boedo, Palermo, San Telmo oder Parque Patricios. Die erheben für ihr buntes Treiben wenigstens keine Gebühren. Denn ihre Bühne ist die Straße und das Publikum die Komparsen, die gleicherweise ihr Gehör den sozialkritischen Texten ihrer Murga-Gesänge schenken.

Gewackelt wird hier ebenso und zwar zu Candombé- und Trillerpfeifenrhythmen. Das Faschingsoutfit setzt sich aus mehr als nur zwei Stofffetzen zusammen. Mann trägt Seidenfrack, Handschuhe und Hut als Erinnerung an jene Sklavenzeit, in der sich die Leibeigenen über ihre Herren lustig machten, indem sie heimlich ihre Kleidung anzogen, komische Fratzen schnitten und groteske Bewegungen ausführten. Neben der Kleidung haben die murgueros auch die Bewegungen beibehalten. Sie wirken ekstatisch und weniger reizend als beim Karneval in Entre Rios oder Brasilien, genauso wie ihre Leiber weniger perfekt erscheinen.

Wichtigstes Utensil für die Komparsen sind die Spraydosen gefüllt mit Weihnachtsbaumschnee. Besonders die kleinen Zuschauer können es kaum erwarten, den Sprühknopf zu betätigen und kreischend sämtliche Mitstreiter einzuschäumen. Wer Opfer dieser Übergriffe wird und sich nicht wehrt, verlässt das Fest als nasser Sack. Leider findet bei dieser Veranstaltung noch kein Wet-T-Shirt-Wettbewerb statt….das kann sich aber bis zum nächsten Jahr noch ändern.

Na dann, auf die Spraydosen, fertig, LOS!

Über kulturmix

Seit knapp vier Jahren entdecke ich nun schon die kulturellen Feinheiten Argentiniens, insbesondere die von Buenos Aires. Meine Entdeckungsreise begann nach Abschluss meines Studiums in Deutschland und führte mich nach einem Praktikum und einigen Gelegenheitsjobs in den gemeinnützigen Sektor, in dem ich seit knapp zwei Jahren tätig bin. Für eine Provinzdame aus dem Thüringer Wald war und ist es bis heute eine herausfordernde Umstellung, sich im Großstadtdschungel zurecht zu finden. Mal ganz abgesehen von den kleinen aber feinen kulturellen Unterschieden. Da trifft Sachlichkeit auf Beziehungsorientiertheit, Pünktlichkeit auf Flexibilität und Formalität auf Informalität, um nur einige Beispiele zu nennen. Nichtsdestotrotz sind die alltäglichen Ereignisse in einer fremden Kultur manchmal das fehlende Salz in der Lebenssuppe. Für all diejenigen, die den Gedanken hegen, dieses Fleckchen Erde einmal kennen lernen zu wollen, für die gibt so manch nützliche Information, um die argentinische Lebenswelt zu verstehen.

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